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Luther, Zwingli und Calvin

Über den lutherischen Gottesdienst

 

Der HERR redete mit Mose und sprach: Siehe, ich habe mit Namen berufen Bezalel, den Sohn Uris, des Sohnes Hurs, vom Stamm Juda, und habe ihn erfüllt mit dem Geist Gottes, mit Weisheit und Verstand und Erkenntnis und mit aller Geschicklichkeit, kunstreich zu arbeiten in Gold, Silber, Kupfer, kunstreich Steine zu schneiden und einzusetzen und kunstreich zu schnitzen in Holz, um jede Arbeit zu vollbringen. Und siehe, ich habe ihm beigegeben Oholiab, den Sohn Ahisamachs, vom Stamm Dan, und habe allen Künstlern die Weisheit ins Herz gegeben, daß sie alles machen können, was ich dir geboten habe: die Stiftshütte, die Lade mit dem Gesetz, den Gnadenthron darauf und alle Geräte in der Hütte, den Tisch und sein Gerät, den Leuchter von reinem Gold und all sein Gerät, den Räucheraltar, den Brandopferaltar mit all seinem Gerät, das Becken mit seinem Gestell, die Amtskleider, die heiligen Kleider des Priesters Aaron und die Kleider seiner Söhne für den priesterlichen Dienst, das Salböl und das Räucherwerk von Spezerei für das Heiligtum. Ganz so, wie ich dir geboten habe, sollen sie es machen.
(2.Mose 31,1-11)

Am 2. Juli 1502 ist der Jurastudent Martin Luther auf dem Fußmarsch. Er wandert zurück von seinem Elternhaus, wo er einige Tage Urlaub gemacht hatte, zur Universität in Erfurt. Da gerät er 11 km vor Erfurt mit seinem Freund Alexis in ein schweres Gewitter. Sein Freund wird vom Blitz erschlagen, und Luther gelobt in höchster Todesangst, er wolle ein Mönch werden.

Luther wollte im Kloster ein frommes Leben führen und sich durch viele Gebete den Himmel verdienen. Als er aber im Kloster war, stellte er fest: Ich bin jetzt zwar ein Mönch, aber damit nicht automatisch auch ein frommer Christ. Wenn ich die langen Psalmgebete sprechen soll, spüre ich einen Widerwillen. Wenn ich mir Mühe gebe, Gott zu lieben und ihn anzubeten, spüre ich einen heimlichen Groll auf Gott, daß er so viele Gebete von mir fordert. Luther kam in die allerhöchste Verzweiflung: Ich soll Gott lieben, aber ich bin ihm böse, ja ich hasse Gott. Also werde ich am Jüngsten Tag von Gott zu Recht verdammt werden. Luther, der gehofft hatte, im Kloster ein frommes Leben führen zu können, erkennt im Kloster, daß er ein gescheiterter Christ ist, ein Christ ohne wirkliche Liebe zu Gott.

Tiefe Höllenängste ergreifen ihn, bis er seinen Trost in der Bibel findet: Gott liebt den Sünder - jedenfalls den gutwilligen; der nicht über seinen Schatten springen kann, der es aber gerne möchte. Gott liebt den Sünder, der nur ein kurzes Bußgebet hervorbringt wie der Zöllner im Gleichnis und der Schächer am Kreuz. Gott liebt den Sünder, der wenigstens zum Abendmahl kommt.

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Martin Luther wurde getröstet durch das Wort der Heiligen Schrift. Das war der Anfang der Reformation, die aus kleinen Anfängen zu einer großen Lawine heranwuchs. Mit der Zeit mischten sich immer neue Fragen ein: Wie war das Papsttum zu bewerten, das sich der Reformation mit aller Kraft entgegenstemmte? Wie war die Messe zu bewerten, in der damals in aller Regel nur der Priester das heilige Brot und den heiligen Kelch empfing, und bei der in aller Regel die Gemeinde leer ausging - falls Gemeindeglieder überhaupt anwesend waren? Wie war das Bischofsamt zu bewerten, das damals nur von Fürstensöhnen ausgeübt werden konnte, denen es vor allem um die bischöflichen Einkünfte ging und nicht um den Gottesdienst und die Predigt; die oftmals nicht geweiht waren, sondern ohne geistliche Aufgaben alle Tage herrlich und in Freuden lebten?

In dieser Zeit kommt alles auf den Prüfstand, auch der Gottesdienst. Luther entscheidet sich für milde Reformen. Der Gottesdienst wird gestrafft, aber er bleibt im Wesentlichen unverändert. So behält Luther auch alles bei, was die Feierlichkeit des Gottesdienstes unterstreicht: die Kerzen auf dem Altar, die bunten Meßgewänder, den feierlichen Gesang der Gebete. Ja, er verbringt mit einem bekannten Kirchenmusiker viele Wochen, um ein Modell zu finden, mit dem man die Evangelien singen kann. Die bisherigen katholischen Evangelientöne, so findet Luther, passen gut zum bisherigen Kirchenlatein, aber nicht zur deutschen Sprache. Luther entwickelt also einen neuen Evangelienton, der heute noch in manchen Gemeinden gesungen wird. Der Gottesdienst soll schön und feierlich sein, es geht ja um Gottes Ehre!

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Zur gleichen Zeit geschieht aber in der Schweiz und in Süddeutschland das genaue Gegenteil. In der Schweiz tritt Huldreich Zwingli auf. Er hat gemerkt, daß die katholische Kirche im ersten Schock hilflos reagiert und sich nicht gegen die Reformation durchsetzen kann. Und so beginnt auch Zwingli mit seinen Reformen. Es sind aber ganz andere Reformen, und Zwingli hat auch ein anderes Leben hinter sich als Luther.

Er ist ein viertel Jahr jünger als Luther. Er wird Priester - also Pastor - ohne sich um ein frommes Leben zu bemühen. Er kann den Zölibat nicht einhalten und hat Umgang mit den Huren. Können wir uns vorstellen, was das bedeutet? Wie er mit schlechtem Gewissen vor dem Altar steht und dort die allerheiligste Handlung vollziehen muß? Wie ihn der Schrecken vor dem Heiligen überfällt, das tägliche Grauen vor dem heiligen Abendmahl? Dementsprechend fallen die Reformen in der Schweiz ganz anders aus: Das Heilige muß abgeschafft werden!

Zwingli ruft dazu auf, alle Altäre zu zerstören. Die Gemeinde gehorcht seiner fanatischen Predigt und zerstört in der Hauptkirche in Zürich alle Altäre. Das sonntägliche Abendmahl wird abgeschafft. Zwingli selber will überhaupt kein Abendmahl mehr feiern, er will nur noch predigen. Ein anderer Pastor darf das Abendmahl einsetzen - aber nur noch alle viertel Jahre einmal. Für diese Abendmahlsfeiern, so ordnet Zwingli an, wird jedesmal ein normaler Tisch in die Kirche getragen - es gibt ja keine Altäre mehr! Alles soll möglichst „schlicht“ sein, nichts soll daran erinnern, daß das Abendmahl heilig ist. Das silberne Abendmahlsgeschirr wird abgeschafft. Das Brot wird in einem geflochtenen Holzkorb herumgereicht. Der Wein wird aus einem hölzernen Becher getrunken - könnt ihr euch vorstellen, wie Wein aus einem Holzbecher schmeckt?

Es soll jede Feierlichkeit fehlen: Die Musik in der Kirche wird verboten! Keine Orgel! Keine gesungene Liturgie! Kein Gemeindegesang! Es soll alles ganz schlicht sein, es soll nichts mehr an die Heiligkeit Gottes erinnern.

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Nach einigen Jahren fällt Zwingli in einem Krieg, indem es um die gewaltsame Ausbreitung der Schweizer Reformation ging. Sein Erbe tritt Johannes Calvin an. Manches mildert Calvin ab, so darf zumindest die Gemeinde im Gottesdienst wieder singen.

Manches verschärft Calvin allerdings auch: Das Kreuzschlagen, die Gewänder und vieles andere mehr werden nicht mehr nur fallengelassen wie bei Zwingli, sondern sogar zur Sünde erklärt. Alle heiligen Handlungen werden als Aberglaube oder sogar als Magie diffamiert. Der von jeder rituellen Handlung und von jeder Feierlichkeit gereinigte Gottesdienst verläuft nun in der allergrößten Schlichtheit.

So kommt es also, daß es bis heute zwei verschiedene Richtungen in der evangelischen Kirche gibt, die zumindest in der Gottesdienstfrage in erbittertem Kampf gegeneinander liegen. Das lutherische Erbe möchte den Gottesdienst schön und feierlich gestalten. Das zwinglianische und  kalvinistische Erbe will möglichst schlichte Gottesdienste: Das Abendmahl soll höchstens einmal im Monat gefeiert werden. Keine heiligen Zeremonien, kein Niederknien beim Abendmahl, keine farbigen Gewänder, keine gesungenen Gebete! Welche Richtung hat Recht?

Schon die verschiedenen Lebenswege von Luther und Zwingli - wie auch übrigens von Calvin! - geben uns einen Hinweis. Außerdem: Schon im Alten Testament hat Gott angeordnet, daß alle Gottesdienste mit der größten Feierlichkeit begangen werden, mit geweihten Altären, mit farbigen Gewändern und goldenen und silbernen Geräten. Im Neuen Testament zeigt uns die Offenbarung, daß auch der Gottesdienst im Himmel feierlich und prächtig abläuft; und im Hebräerbrief wird uns gesagt, daß unser irdischer Gottesdienst parallel zur himmlischen Anbetung Gottes verläuft und daß sich beide unsichtbar zu einem einzigen heiligen Gottesdienst vereinigen.

Altes und Neues Testament stimmen also überein: Gott will feierliche Gottesdienste - im Himmel und auf Erden! Luther ist im Recht! Zwingli und Calvin haben Unrecht.

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Ja, aber warum sind bis heute so viele Christen den beiden Schweizer Reformatoren in diesem Punkt gefolgt? Dies ist in der Tat das eigentliche und große Rätsel in der Gottesdienstfrage. Wenn man die Anhänger Zwinglis und Calvins fragt, warum sie so vehement für schlichte Gottesdienste eintreten und warum so viele von ihnen den evangelisch-lutherischen Gottesdienst so heftig ablehnen, dann bekommt man zur Antwort: Die äußeren Zeremonien und die äußerliche Feierlichkeit lenken ab von dem eigentlichen Sinn des Gottesdienstes, vom Hören auf das Wort Gottes und von der eigentlichen Anbetung Gottes.

Diese Antwort kann allerdings nicht stimmen. Lenkt das weiße Kleid der Braut ab vom eigentlichen Zweck der Hochzeit? Ganz gewiß nicht! Das Brautkleid unterstreicht doch nur besonders deutlich die Besonderheit und den Ernst und die Einmaligkeit dieses Tages. Von Ablenkung kann gar keine Rede sein! Oder lenkt es ab, wenn die Musiker eines Philharmonieorchesters alle im schwarzen Frack spielen? Gewiß nicht! Die schöne Musik wird doch durch das würdige Auftreten der Musiker zu einem um so größeren Ereignis. Und es stimmt auch für den Gottesdienst nicht, daß äußerliche Riten und feierliche Gestaltung in jedem Fall nur ablenken. Es muß für die kalvinistische Ablehnung des feierlichen Gottesdienstes einen anderen, verborgenen Grund geben.

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Ich glaube: Zwingli und Calvin und ihre heutigen Anhänger verhalten sich wie die Kinder, die ihre liebe Mutter gern einmal mit Füßen treten. Die Kinder lieben ihre Mutter wirklich! Aber es macht ihnen trotzdem Freude, die Mutter zu treten - falls sie sich das gefallen läßt. Genauso die Anhänger von Zwingli und Calvin: Sie glauben an Gott! - das kann man nicht bestreiten. Sie lieben Gott! - das muß man vielen unter ihnen zugestehen. Aber es macht ihnen auch heimliche Freude, Gott unter ihre Füße zu treten, Gott zu demütigen, indem sie ihm die Ehre verweigern.

Tatsache ist: Den Kampf gegen die lutherisch-feierlichen Gottesdienste hat der Kalvinismus zwar nicht ganz, aber doch ungefähr zu Dreivierteln gewonnen. Wirklich lutherische Gottesdienste gibt es in Deutschland nur sehr wenige. Was Gott dazu am Jüngsten Tag sagen wird, werden wir sehen. Wir aber wollen verstehen: Es ist für uns selber besser, wenn wir Gott die rechte Ehre geben, mit schönen Gottesdiensten, mit gesungener Liturgie, mit gesungenem Evangelium, mit sonntäglichem Abendmahl und mit einem kräftigen Gemeindegesang.